Neu in der Transidentität-Thematik? Hier entlang!

Was im ersten Moment für Menschen gedacht war, die sich ohnehin schon etwas mit Transidentität und Genderqueerness auskennen, hat sich doch schnell zu einem Projekt entwickelt, das auch oder sogar insbesondere Menschen erreichen soll, denen diese Thematiken bis dato vollkommen fremd waren. Dieser Beitrag ist also explizit für euch!

Transidentität – eine Annäherung

Wie bedeutend für Menschen das Thema Gender ist, wird allein schon durch folgende Situation klar: Stellt euch vor, eine Frau ist schwanger. Die zweifellos erste Frage aller Bekannten wird sein: „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ Wie ein Kind von seiner Umwelt gesehen werden wird, wird also i. d. R. bereits vor seiner Geburt festgelegt – anhand eines Ultraschallbilds, das entweder das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein eines Penisses zeigt. Hier wird deutlich: Das Geschlecht wird allein anhand der äußeren Geschlechtsmerkmale bestimmt. Das kann jedoch problematisch sein.

Gehen wir weiter im Beispiel. Ein (ungeborenes) Kind wird als männlich oder weiblich identifiziert, Klamotten werden in Blau oder Rosa gekauft, das Kinderzimmer entsprechend eingerichtet, und ganz automatisch werden Erwartungen an das Kind gestellt, wie es zu sein hat – aufgrund des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins eines Penisses. Wächst das Kind nun heran und erfüllt nicht die Erwartungen, die ihm zugeschrieben werden, stößt dies auf Verunsicherung oder gar Abwehr. An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich die Absurdität vor Augen zu führen: Ohne zu wissen, wie sich das Kind fühlt, werden Annahmen über es getroffen – seine Identität wird von Dritten aufgrund körperlicher Merkmale fremdbestimmt. Was aber ist mit dem Inneren? Das geschlechtliche Selbsterleben kann von diesem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht vollkommen abweichen.

Diese Geschlechtskörperdiskrepanz (Fachausdruck: Geschlechtsdysphorie) ist das, was heute Transidentität genannt wird und was früher als Transsexualität beschrieben wurde. Der Begriff Transsexualität gilt heute als veraltet, in Gesetzestexten ist er jedoch noch anzutreffen. Problematisch am Begriff ist der Fokus auf Sexualität – denn ob man sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert oder nicht, hat nichts mit Sexualität zu tun, sondern mit Identität. Geschlechtsidentität und Sexualität sind getrennt voneinander zu betrachten.

Während die Diskrepanz zwischen dem biologisch zugeordneten Geschlecht und dem individuellen Empfinden bezüglich der Geschlechtszugehörigkeit in früheren Zeiten als Wahn und schwere psychische Störung klassifiziert wurde, ist heute dank neurowissenschaftlicher Forschung klar, dass Transidentität eine valide Variante menschlicher Geschlechtlichkeit darstellt. Das ausschlaggebende Kriterium bezüglich der Geschlechtsidentität liegt nicht in genitalen Merkmalen begründet, sondern im Gehirn. Das Gehirn ist das Steuerungsorgan für das geschlechtliche Selbsterleben. De facto heißt das: Bei transidenten Menschen stimmen die Genitalien geschlechtlich nicht mit der Wahrnehmung des Gehirns überein – dies ist die Definition von Geschlechtskörperdiskrepanz bzw. Geschlechtsdysphorie. Bei vielen (aber nicht allen!) transidenten Menschen geht mit dieser empfundenen Diskrepanz der Wunsch einher, den Körper an das innerlich empfundene Geschlecht angleichen zu wollen.

Ist Transidentität nicht nur neumodischer Unsinn?

Kurz: Nein. Es gibt zahlreiche Beispiele von Kulturen und Religionen, in denen der Wechsel der Geschlechterrolle verbreitet ist:

  • die Berdache bei den Zuni in Mexiko
  • die Fakaleiti: Männer auf Tonga (Ozeanien), die sich in ihrem Auftreten und ihrer Kleidung dem weiblichen Geschlecht angleichen
  • die Hijra aus Indien, die meist weder eine eindeutig weibliche noch eine eindeutig männliche Geschlechtsidentität haben
  • die Katoy in Thailand
  • die nordamerikanischen Ureinwohner kennen ein „drittes Geschlecht“, die „Two-Spirit-People“, das heißt, Menschen, die zwei Seelen (eine männliche und eine weibliche) in sich tragen, und sie werden hoch verehrt

Zudem hilft es, sich Zahlen vor Augen zu führen: Auch wenn die Dunkelziffer hoch sein wird, gibt es schätzungsweise eine Verteilung von 1:1000 bei trans Frauen und von 1:2000 bei trans Männern. Das Phänomen ist also nicht so selten, wie man vielleicht denkt.

Wieso Transidentität, meinst du nicht Transgender?

Begriffe sind natürlich stets in irgendeinem Maß Wortklauberei. Ich möchte aber versuchen, zu erklären, warum sich die trans Community mit dem Begriff Transidentität am wohlsten fühlt.

Transgender ist streng genommen ein Oberbegriff für alle Menschen, die sich mit dem ihnen zugewiesenen Geschlecht falsch oder unzureichend beschrieben fühlen. Das heißt aber nicht zwangsweise, dass sie sich als das entgegengesetzte Geschlecht identifizieren. Transgender sind nicht nur trans Männer und Frauen, sondern auch:

  • Transvestiten (Männer, die sich zum Lustgewinn als Frau kleiden)
  • Crossdresser (Menschen, die bewusst Kleidung des entgegengesetzten Geschlechts tragen, die sich aber nicht unwohl mit der ihnen zugewiesenen Geschlechtsidentität fühlen)
  • nichtbinäre Menschen (Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren und sich außerhalb der binären Geschlechtszuordnung befinden)
  • Drag Queens bzw. Kings (Kunstfiguren, die zu Showzwecken das entgegengesetzte Geschlecht annehmen)

Wenn es also tatsächlich um die empfundene Identität als Mann oder Frau geht, obwohl die Geschlechtsmerkmale dem jeweils anderen Geschlecht entsprechen, ist die Wahl des Begriffs Transidentität zu treffen.

Transmann/-frau oder trans Mann/Frau?

Aufmerksamen Leser*innen wird bereits aufgefallen sein, dass ich die Schreibweise „trans Mann/Frau“ verwende. Dies hat folgenden – sehr simplen – Hintergrund.

Das Wort trans stammt aus dem Lateinischen, bedeutet jenseitig und ist ein Adjektiv. Wer sich an den Deutsch-Unterricht erinnert, wird wissen: Adjektive werden i. d. R. klein geschrieben. So einfach ist das also. Es handelt sich um keine Vorsilbe wie etwa „Kaufmann“, sondern um ein Adjektiv, das das Substantiv „Mann“ genauer beschreibt, genauso also, wie wenn man jemanden als einen z. B. „ehrgeizigen Mann“ bezeichnet.

Das Gegenstück zu trans lautet cis – dieses Wort stammt ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet als Pendant zu trans = jenseitig: diesseitig.

Man kann als Mensch also die Eigenschaft trans oder cis haben: Als cis Person identifiziert man sich mit dem Geschlecht, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde, und als trans Person identifiziert man sich nicht mit diesem Geschlecht.

Es wäre wünschenswert, dass diese Adjektive vollkommen wertfrei und absolut natürlich verwendet werden, sodass sich niemand durch die Label trans oder cis angegriffen fühlt. Vielmehr sollten diese Labels genauso als Beschreibungen gesehen werden wie alle anderen Adjektive auch.

Ich sehe in Instagram Bios manchmal Angaben wie „er/ihn“ oder „sie/ihr“ – was soll das bewirken?

Sowohl trans Menschen als auch Allys (Verbündete) der trans Community schreiben i. d. R. auf jeglichen Sozialen Plattformen ihre Pronomen in ihre Bio. Dies hat den simplen Hintergrund, dass somit verhindert werden soll, dass man misgendert wird. Mit einem schnellen Blick auf das Profil eines Users*einer Userin ist gewährleistet, dass man weiß, ob sich die Person als Mann oder als Frau oder als nichtbinär sieht – gekennzeichnet durch die Pronomen „er/ihn“ bzw. „he/him“, „sie/ihr“ bzw. „she/her“ und bei nichtbinären Personen z. B. „they/them“ oder „dey/dem“ bzw. „dey/deren“ (hier gibt es viele weitere sogenannte Neopronomen).

Hier ist das Ziel, es zu normalisieren, die eigenen Pronomen vorzugeben, sodass trans Menschen nicht zwangsweise auffallen, wenn sie es tun. Wenn alle Menschen, ob cis, trans oder nichtbinär, ihre Pronomen grundsätzlich in ihrem Profil angeben, wird es automatisch normalisiert, dass man sich mit den selbstgewählten Pronomen vorstellt, ohne dass aufgrund z. B. äußerlicher Merkmale auf eine Geschlechtsidentität geschlossen wird.

Fazit

Ich hoffe, dieser Beitrag konnte helfen, Klarheit über die Begriffe rund um Transidentität zu verschaffen. Falls ihr noch Fragen habt, formuliert sie gerne als Kommentar unter diesem Beitrag. Ich weiß, dass das Thema zunächst abschreckend komplex erscheinen kann, wenn man zum ersten Mal damit in Berührung kommt. Das ist okay. Erlaubt euch, euer erlerntes Wissen über Gender zu hinterfragen – ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es tut verdammt gut!



Quellen:

  • In Gerhard Schreiber (Hg.): Das Geschlecht in mir. Neurwissenschaftliche, lebensweltliche und theologische Beiträge zu Transsexualität. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2019:
    • Gerhard Schreiber: Vorwort (S. XI–XIX)
    • Mark Solms: Die biologischen Grundlagen von Geschlecht. Ein empfindliches Gleichgewicht. (S. 3–22)
  • Udo Rauchfleisch: Transsexualität – Transidentität. Begutachtung, Begleitung, Therapie. 5., unveränderte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016.

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