Herr Psychiater, please do your research

Gestern hatte ich meinen ersten Termin bei meinem neuen Psychiater. Ursprünglich machte ich den Termin aus dem Grund aus, dass ich umgezogen bin und weiterhin bezüglich meiner Depression betreut werden muss. Ich befinde mich noch in der Einstellung auf ein Antidepressivum, das zum Zeitpunkt des Anrufs noch nicht allzu gut Wirkung zeigte.

Das war wahrscheinlich das erste Problem: dass mein Telefonat mit dem Arzt so weit zurücklag, dass ich mich mit meinem alten Namen gemeldet und die Geschlechtsdysphorie noch nicht erwähnt habe. So war natürlich gegeben, dass ich mit „Frau xy“ begrüßt wurde, doch ich hoffte, diesen Missstand schnell aufklären zu können.

Na ja, was soll ich sagen: Falsch gedacht. Er las mich so eindeutig als Frau, dass es mir schwer fiel, überhaupt die jüngsten Ereignisse zusammenzufassen und meine Transidentität zu offenbaren. Ich versuchte, meine Leidensgeschichte der Depression mit meiner Geschlechtsdysphorie zu verknüpfen, und beendete meinen Monolog damit, dass ich durch die Erkenntnis und das Outing gerade sogar ein unfassbares Hoch verspüre und deshalb gar nicht einschätzen könne, wie es um meine Depression und die Wirkung des Antidepressivums stehe.

Die erste Red Flag war der Moment, in dem ich von meiner Geschlechtsdysphorie sprach und der werte Herr Psychiater dreimal nachfragen musste, was ich meinte. Klar, es ist ein Fachbegriff, aber na ja, ist er nicht ... ausgebildeter Arzt? Ich hatte das Gefühl, er wusste tatsächlich nicht, was damit gemeint ist. Liebes Gesundheitswesen: Wie kann das sein?

Auch sonst war seine Reaktion ernüchternd: Er sagte wiederholt, dass mir bewusst sein müsse, dass eine Transition ein beschwerlicher Weg sei, man sich begutachten lassen müsse, einem viele Steine in den Weg gelegt und viele unangenehme Fragen gestellt würden. Ich sagte, ich wisse das, ich hatte mich schließlich die letzten Wochen mit literally nichts anderem beschäftigt. Er schien mir nicht zu glauben – und allgemein nicht zu verstehen, wie gefestigt meine Identität ist und dass es nicht ein gerade kurz aufgetauchter Gedanke war, den ich laut ausgesprochen hatte. Kurz: Ich fühlte mich nicht wirklich ernst genommen.

Ich fragte also, ob er mich dennoch in meinem Prozess begleiten könne und erwähnte bereits meine Suche nach einem Endokrinologen*einer Endokrinologin, für den er potenziell eine Indikation schreiben könnte. Er gab zu, sich nicht allzu sehr auszukennen (immerhin), lehnte meine Bitte aber nicht ab. Am meisten verwunderte mich, dass er erzählte, er habe eine weitere trans Patientin, die er bezüglich mancher organisatorischer Dinge kontaktierten wollte. Gute Idee, die besagte Patientin kann mir mit Sicherheit besser weiterhelfen als der werte Herr Facharzt.

Schon wieder wiederholte er nun seine Mahnung, wie beschwerlich die Transition sei, und ich fühlte mich gezwungen, emotional zu werden, um meine Situation deutlich zu machen: Ich erklärte, dass ich, egal, wie beschwerlich der Weg sein würde, ihn gehen werde, da ich überhaupt keine andere Option habe. Ich erklärte, dass die letzte Zeit, in der ich mich mit mir wohl gefühlt habe, die Grundschule war, dass die Pubertät mich zu einem unfassbar wütenden und verzweifelten, nirgendwo hineinpassenden Teenager gemacht hatte, ich ergo seit der Pubertät unzufrieden war, mit 18 schließlich depressiv wurde und es von da an blieb. Dass ich seit Jahren alle paar Monate kurz davor war, aufzugeben, obwohl ich psychotherapeutisch kompetent begleitet werde, dass meine Therapeutin und ich alle paar Monate überlegen, ob ich in eine Klinik gehen muss oder nicht, dass wir seit Jahren nach einer Zukunftsperspektive für mich suchen und einfach keine fanden, weil ich mich schlichtweg mit meiner Existenz nicht anfreunden konnte. Drastisch formulierte ich also: Entweder ich kann meinen Weg gehen und als Mann leben – oder ich möchte sterben. Denn es geht so nicht mehr weiter. Ich kann einfach nicht mehr. Ich bin am Ende meiner Kräfte, als jemand zu leben, der ich nicht bin. Die Transition zu beginnen, ist keine Option, kein Mut, es ist pures Überlebenwollen. Überhaupt: Leben wollen. Zum ersten Mal in meinem erwachsenen Leben will ich leben. Und zwar als Mann. Also: Ja, Herr Psychiater, mir ist bewusst, dass es kein einfacher Weg ist. Aber es ist der einzig mögliche für mich.

Bei diesem kleinen Rant stiegen mir vor Emotionalität Tränen in die Augen, beim Herrn Psychiater rührte sich nichts – mein alter Psychiater hätte mir in dieser Situation immerhin ein Taschentuch angeboten, na ja. Er sagte nichts weiter und ich hatte das Gefühl, meinen Standpunkt endlich klar gemacht zu haben.

Als ich bereits im Gehen war, fiel mir auf, dass er von sich aus die Sache mit dem Namen gar nicht angesprochen hatte. Ich bat ihn also, mich mit „Herr xy“ statt „Frau xy“ anzusprechen, auch wenn ich bei meiner Krankenkasse noch mit meinem weiblichen Namen registriert bin. Er reagierte ausweichend und meinte, dass er es versuche, aber nichts versprechen könne. Er verabschiedete mich noch im selben Atemzug mit „Frau xy“.

Während ich dies schreibe, kann ich nicht anders, als den Kopf über meinen Psychiater zu schütteln. Was war sein sch*** Problem? Wie konnte es bei all meinen Bemühungen so verdammt schwer sein, meine Identität zu akzeptieren und sich einfach nur ein ganz klein bisschen Mühe zu geben? Wie soll man vor der Personenstandsänderung (die ein unfassbar komplizierter und zeitaufwändiger Akt ist!) wirklich als das gewünschte Geschlecht leben, wenn nicht einmal ein verdammt noch mal ausgebildeter Facharzt es auf die Reihe kriegt, so etwas Simples umzusetzen, wie „Herr“ statt „Frau“ zu sagen, nachdem ein Patient seine gesamte Leidensgeschichte dargelegt hat?

Mein Fazit für alle fellow trans Peeps: Versucht, wenn irgendwie möglich, zu Ärzt*innen zu gehen, die auf Transsexualität, wie es bei ihnen heißt, spezialisiert sind. Vielleicht können andere trans Menschen auch ihre Erfahrungen in ortsgebundenen Organisationen/Gruppen teilen, sodass es für newly out trans Männer und Frauen leichter ist, Ärzt*innen zu finden, denen das Thema Transidentität nicht vollkommen fremd ist. Ich hoffe, zukünftige Ärzt*innen werden dahingehend außerdem besser ausgebildet. Es kann ja nicht sein, dass ein Arzt nicht weiß, was Geschlechtsdysphorie bedeutet – oder?


Kommentare

  1. Ich bin sehr berührt von deinem Blogpost und wünsche dir von Herzen, dass alles besser werden wird.
    Kann ebenfalls nur den Kopf schütteln über das fehlende Wissen und das Verhalten dieses Pdychiaters.
    Alles Liebe dir!

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  2. Ich kann zwar deine Frustration verstehen, möchte aber eine (kleine) Lanze für deinen Psychiater brechen. Es ist kein Bestandteil des Studiums (ich bin selbst Arzt und noch nicht lange aus dem Studium raus), die medizinischen Aspekte von Transsexualität/Geschlechtsumwandlungen zu betrachten. Psychische Erkrankungen im Allgemeinen sind i.d.R. 1 oder maximal 2 Semester lang Thema, da werden dann die prävalentesten Krankheitsbilder wie Depression, Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen, usw. beleuchtet. In der Facharztausbildung machst du dann die größten Erfahrungen bezüglich derjenigen Erkrankungen, auf die deine Klinik spezialisiert ist - nicht selten wenige Krankheitsbilder. Dass Transsexualität deshalb für die meisten Psychiater weit außerhalb des Erfahrungshorizonts liegt, ist ihnen - finde ich - nicht anzulasten. Enttäuschend ist nur die mangelnde Empathie, die dir entgegen gebracht wurde. Leider ist meine Erfahrung mit der Psychiatrie: Medis, Medis, Medis. Jeder, der eine (Gesprächs)psychiotherapie erwartet, wenn er zum Psychiater geht, ist leider am falschen Ort. Dafür braucht es einen Psychiotherapeuten. Am besten dann mit Approbation, sodass er/sie bei Bedarf *auch* mal Medis verschreiben kann.

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    1. Danke, dass du mich darauf hinweist! Ich hatte schon die Vermutung, dass Transidentität im Medizinstudium oder auch in der Facharztausbildung nicht besonders ausgeprägt behandelt wird, hatte da aber noch keine Quellen aus erster Hand. Da würde ich mir einfach wünschen, dass das ein wenig mehr zur Sprache kommt, da Geschlechtsdysphorie wirklich gar nicht mal so unverbreitet ist. Es betrifft ja nicht nur trans, sondern auch nichtbinäre und genderfluide Personen, und inzwischen trauen sich einfach mehr, das auch anzusprechen und sich zu outen. Dadurch entsteht ja das Bild, dass Gender gerade so ein „Trend“ sei, leider. Vielleicht kann die Medizin dem ja langsam gerecht werden, das würde der nächsten Generation auf jeden Fall sehr helfen!
      Der nächste kritische Punkt, der hoffentlich bald geändert wird, ist, dass „Transsexualität“ aktuell noch als psychische Störung eingestuft wird. Da ist es dann ja auch kein Wunder, wenn Psychiater*innen ein vorurteilsbelastetes Bild davon haben. Es sollte eigentlich als natürliche mögliche, von der Norm abweichende Konstitution eines Menschen gesehen werden – wenn etwas von der cisheteronormativen Norm abweicht, ist es aber keine Krankheit.
      Im letzten Punkt stimme ich dir vollkommen zu, Psychotherapie ist psychiatrischer Betreuung unbedingt vorzuziehen, wenn psychologisch gearbeitet werden soll und man nicht nur ein Medikament verschrieben bekommen möchte. Deswegen würde ich auch allen raten, die mit z. B. (schweren) Depressionen zu kämpfen haben, parallel psychotherapeutische und psychiatrische Unterstützung zu suchen. Meine Erfahrungen mit dem Psychiater waren durch viele kleine Zufälle und Entwicklungen bedingt und hätte ich den Ersttermin nicht sowieso schon Wochen früher ausgemacht, wäre es wohl gar nicht dazu gekommen, haha.

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  3. Freud'scher Verschreiber -> 2 Mal "Psychio" :D

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  4. Lieber Kaspar,

    deine Frustration gegenüber deinem Psychiater kann ich nur allzu gut verstehen. Ich selbst habe mich aufgrund von früherer Erfahrung mit behandelnden Psychotherapeut*innen vor meinem Psychiater nicht geoutet, auch weil ich immer noch befürchte, dass viele behandelnde Expert*innen nicht wirklich gut mit nichtbinärität umgehen können. Mir wurde mal von einem Psychologen an den Kopf geworfen, dass ich doch ein ganz bunter Vogel sei, weil ich zu diesem Termin Nagellack und ein blumigeres Hemd trug. Das war mein letzes mal, dass ich mit ihm zu tun hatte. Ich wollte eigentlich in der Therapie auch meine Dysphorie und Nichtbinärität ansprechen, nach einigen solchen Kommentaren habe ich das dann aber gelassen. Leider ist mein Psychiater aktuell mein einziger behandelnder Arzt, weshalb ich auf ihn angewiesen bin, Trans* freundliche Behandler*innen sind hier in Dresden leider rar, und ich bin froh, dass ich es mittlerweile auf eine Warteliste geschafft habe.
    Es ist ein sehr großes Problem, dass viele Behandler*innen kaum wissen über trans* Identitäten haben, weshalb ich super froh bin, dass der Psychologie-Fachbereich meiner Uni dieses Semester eine Vorlesungsreihe hält, die unter anderem beinhaltet, dass trans* Personen über trans Problematiken sprechen und zukünftige Psycholog*innen sensibilisieren. Ich glaube aber auch, dass dies in der Medizin noch viel wichtiger ist, da diese ja doch eher zum cis-binären neigt.

    Aber im allgemeinen hat Deutschland ja noch viel nachzuholen, was die Behandlung und Rechte von trans* Menschen angeht. *Hust, selbstbestimmungsgesetz hust*. Ich hoffe, dass sich das bald bessert, damit wirklich niemand mehr diesen Unsinn ertragen muss... . Wenigstens wird nächstes Jahr der ICD-11 verwendet, der zwar keine perfekte Definition für trans* Menschen beinhaltet, aber auf jeden Fall wesentlich besser als die aus dem letzten ICD.

    Alles Liebe
    Fay (sie*er; sie/ihr; they/them)

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