Transidentität ist keine Entscheidung

 „Ach so, du willst also lieber ein Mann sein!“
„Du hast also entschieden, ein Mann zu sein?“
„Wieso willst du ein Mann sein?“
„Bist du dir sicher, dass du das willst?“

Diese und ähnliche Sätze begegnen einem zuhauf, wenn man sich als trans Mann outet. Der Fokus liegt stets auf der vermeintlichen Entscheidung, „ein Mann sein zu wollen“. Tatsächlich geht es bei Transidentität aber nicht darum, was man will, sondern einzig darum, was man eben ist.
Ich bin ehrlich: Hätte ich die Wahl, mir ein Geschlecht auszusuchen, hätte ich das genommen, das mein Körper mir vorgegeben hat. Der Einfachheit halber, weil es sich so leichter leben lässt. Warum sollte man nicht wollen, dass Körper und Hirn übereinstimmen?


Trotzdem gibt es einen Haufen Menschen, die vollkommen überzeugt davon sind, dass man sich dazu entscheidet, trans* zu sein. Es klingt ein wenig danach, als wäre einem langweilig – und man beschließt dann eben mal, ein neues Geschlecht auszuprobieren. Wer sich aber auch nur ein ganz kleines bisschen damit beschäftigt hat, welchen steinigen Weg man gehen muss, wenn man als trans* Mensch sein amtliches bzw. offizielles Geschlecht ändern lassen möchte, dem sollte klar sein, dass das nichts ist, das man aus einer Laune oder gar aus Langeweile heraus macht.

Das Narrativ besagt oft, dass trans* Menschen in irgendeiner Form Aufmerksamkeit erhaschen wollen, dass sie irgendwie besonders sein, auffallen, sich eben von der Masse abheben wollen. Es wird dargestellt, als sei es ein Trend, einfach mal zu behaupten, ein anderes Geschlecht zu haben, als bisher angenommen wurde – einfach nur, um im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Als wäre es hip, die eigene Geschlechtsidentität zu hinterfragen.

Das Einzige, das an dieser Aussage halbwegs wahr ist, ist: Die Zeiten haben sich dahingehend geändert, dass es „normaler“ geworden ist, die eigene Geschlechtsidentität zu thematisieren. Aber nur, weil sich vielleicht mehr junge Leute Gedanken um ihr Geschlecht machen, heißt das nicht, dass alle, die das tun, auf einmal trans* werden. Man kann sich Gedanken über die eigene Geschlechtsidentität machen und zu dem Schluss kommen, cis und mit sich im Reinen zu sein. Was ist daran so verkehrt?

Wahrscheinlich, dass es eben doch ein paar Menschen gibt, die nicht mit sich im Reinen sind und die feststellen, dass eine Diskrepanz zwischen ihrem empfundenen und ihrem körperlich ausgeprägten Geschlecht besteht. Und transfeindliche Menschen tun so, als wäre dies etwas, das trans* Personen feiern. In Wahrheit aber wird man durch die Erkenntnis, trans* zu sein, erst einmal in eine Identitäts- oder gar Lebenskrise gestürzt.

Typische Gedanken sind in diesem Moment: Wird meine Familie das verstehen? Und meine Freund*innen? Werden sie mich weiterhin annehmen? Stehe ich auf einmal ohne Familie und Freund*innen da? Kann ich jemals wirklich als Mann*Frau leben? Werde ich jemals glücklich mit mir und meinem Körper sein? Werde ich jemals wirklich wie ein Mann*eine Frau behandelt werden? Wird man mir immer ansehen, dass ich nicht von Geburt an mit den passenden Geschlechtsmerkmalen ausgestattet bin? Werde ich jemals eine*n Partner*in finden, der*die mich so akzeptiert, wie ich bin? Kann ich leibliche Kinder haben? Ist meine Haut dick genug, um den Prozess der Transition durchzustehen? Habe ich genug Mut, zu transitionen? Habe ich Menschen, die mich unterstützen? Bin ich jetzt völlig auf mich allein gestellt? Kann ich mich nicht doch irgendwie durchmogeln, ohne mich outen zu müssen? Lieg ich nicht doch vielleicht einfach falsch?

Ich kann euch versichern, diese Gedanken tut sich niemand freiwillig an. Transidentität ist in Wahrheit nicht so romantisch, wie transfeindliche Menschen gerne behaupten. In der Realität ist man als trans* Mensch mit viel Ablehnung, Unverständnis und nicht selten auch Feindlichkeit konfrontiert. Die eigene Existenz wird einem abgesprochen, es wird behauptet, so etwas wie Transidentität gebe es gar nicht. Transidentität wird gleichgesetzt mit einer psychischen Störung. Man wird pathologisiert, man wird stigmatisiert, man wird diskriminiert. Und transfeindliche Menschen denken trotzdem noch, man sucht es sich aus, trans* zu sein.

Ob man trans* ist oder nicht, ist einfach eine Tatsache. Das steht seit immer fest, es steht gar nicht zur Debatte – nur muss man selbst erst einmal darauf kommen. Es ist also nicht eine Entscheidung à la: „Ich habe nun beschlossen, trans* zu sein“, sondern es ist eine Entdeckung der eigenen Identität. Meist geht der Gedanke dann eher in die Richtung: „Scheiße, ich glaub, ich bin trans*.“ Diese Erkenntnis erklärt auf einmal so vieles und das ist an sich ein wunderbares Gefühl. So vieles ergibt endlich Sinn! Gleichzeitig ist da aber dieses Unbehagen: „Wird mich irgendjemand verstehen und mir glauben, dass ich trans* bin?“

Wie bei so vielen Dingen gilt wohl auch hier: Man kommt erst zu dieser Erkenntnis, wenn der Leidensdruck so hoch ist, dass gar nichts anderes mehr zur Debatte steht, außer sich zu outen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, ist es keine Entscheidung mehr, ob man sich nun outet oder nicht – das Outen ist die einzige Möglichkeit, weiterzuleben. Es muss daher noch nicht einmal besonders mutig sein, sich zu outen: Oft ist es einfach die als Allerletztes aufgehobene Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Man hat alles andere versucht: Sich mit dem Geschlecht, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde, anzufreunden, bewusst gegen die Klischees dieses Geschlechts anzukämpfen, das Thema Geschlecht komplett zu verdrängen … Aber das Einzige, das wirklich funktioniert, bleibt am Ende, zu sagen: „Hey, ich bin ein Mann*eine Frau. Bitte akzeptiert das.“

Ich weiß noch, als ich mich bei einer meiner Schwestern outete, und sie sagte: „Hä, aber du hasst doch Männer? Wieso willst du dann einer sein?“ Das ist es ja genau: Ich möchte kein Mann sein. Ich bin aber einer.

Und ja, ich hasse cis Männer, die misogyn sind und sich ihrer Privilegien nicht bewusst sind oder sie sogar ausnutzen; ich hasse Männer, die Frauen vergewaltigen, die sie unterdrücken, die sich als etwas Besseres fühlen als Frauen. Aber wenn ich sage: „Ich bin ein Mann“, geht damit ja nicht einher, dass ich genau so ein Mann bin. Ich kann weiterhin Männer hassen, die sich frauenfeindlich verhalten. Ich kann das auch, wenn ich selbst ein Mann bin. Vor allem aber habe ich mir nicht gesagt: „Och, es wäre doch irgendwie einfacher und cooler, ein Mann zu sein, also behaupte ich das einfach mal.“

Was viele auch nicht sehen, ist folgende Tatsache: Nur, weil ich mich als trans* Mann oute, heißt das noch lange nicht, dass ich dieselben Privilegien genieße wie cis Männer. Zunächst werde ich nicht einmal als Mann wahrgenommen, sondern permanent misgendered und als Frau gelesen. Es wäre zwar schön, wenn es so wäre, aber aktuell wird man in unserer Gesellschaft nicht automatisch als das Geschlecht gelesen, als das man sich selbst beschreibt.

Aber selbst, wenn man einigermaßen als Mann gelesen wird, heißt das nicht, dass man als die Art Mann empfunden wird, die Privilegien genießt. Das Konzept der Männlichkeit ist komplett toxisch und untergräbt männliche Identitäten, die nicht in das traditionelle Bild eines Mannes passen: groß, stark, rustikal, unemotional, pragmatisch. Wenn man diesem Klischee nicht entspricht, gilt man schnell als unmännlich, egal, ob man ein cis oder ein trans* Mann ist. Das Narrativ, man verschaffe sich Vorteile, indem man „so tut, als wäre man ein trans* Mann“, ist somit vollkommen unhaltbar. Als kleiner, sensibler und emotionaler Mann werde ich mich niemals in einer privilegierten Position befinden.

Mich als Mann zu outen, bringt mir somit genau gar keine Vorteile, sondern eher Nachteile. Ich bin zu klein, zu sensibel, zu emotional, habe zu wenig Muskeln, zu wenig Kampfgeist. Niemand sieht mich an und denkt: „Jup, das ist ein typischer Mann.“ Und wahrscheinlich wird das auch nach mehreren Jahren Hormontherapie niemals geschehen.

… und manche Menschen denken wirklich, ich tue mir das freiwillig an? Niemals als „richtiger“ Mann angesehen zu werden? Weder von Frauen noch von Männern als attraktiv empfunden zu werden? Immer ein seltsames Etwas zu sein, das irgendwo zwischen den Polen männlich und weiblich steht, obwohl ich mich selbst klar als männlich wahrnehme?

Nein, wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich lieber eine cis Frau. Das würde mir so manches Leid ersparen. Das Ding ist aber: Ich kann es mir nicht aussuchen – ich bin nun mal ein trans Mann. Ich habe fast 25 Jahre lang versucht, mir einzureden, dass ich eine cis Frau bin, die eben nur nicht den Klischees entspricht.

Irgendwann kam aber der Punkt, an dem ich diese Heuchlerei nicht mehr aufrechterhalten konnte, weil es so verdammt kräftezehrend war. Ich stand an einem Punkt, an dem mir genau zwei Optionen blieben: Entweder ich oute mich als trans* Mann und gehe diesen beschwerlichen Weg, auf dem ich wahrscheinlich einen Haufen Menschen verlieren und viel Feindlichkeit erfahren werde – oder ich gebe auf.

Und was heißt es, aufzugeben? Wenn man gar nicht mehr auf das eigene Leben klarkommt? Wenn es alles keinen Sinn ergibt und kein einziger kleiner Hoffnungsschimmer besteht, dass sich das mal ändert? Es gibt dann nur noch eine Konsequenz: den Freitod. Und ich hoffe doch, dass es allen Menschen, die mich kennen, lieber ist, sich umzugewöhnen und mich Kaspar zu nennen, anstatt dass ich mich aus dieser Welt verabschiede.

Vielleicht war es einigen bisher nicht klar, wie existenziell die Frage war, mich zu outen und meinen Weg zu gehen. Ich hoffe, nun ist es klar. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage: Es ging um Leben und Tod. Ich habe mich für das Leben entschieden und ich hoffe, die Menschen in meinem Umfeld begrüßen diese Entscheidung und nehmen es auf sich, sich anzugewöhnen, dass ich nun eben Kaspar und ein Er bin.



Kommentare

  1. Danke für diesen Text! Ich werde ihn sicher weiterempfehlen!

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  2. Ich als ein Mensch in deinem Umfeld begrüße es absolut, dass du dich gegen den Freitod (übrigens danke für die Verwendung dieses Begriffs) und für ein freies Leben ohne Beschränkungen deiner Selbst entschieden hast!

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  3. Hallo Kaspar, ich freue mich, dass du du bist. Viele liebe Grüße
    Vreni

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