Transidentität & Glaube

Kirche und Queerness – das scheint auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Während die katholische Kirche sich klar gegen z. B. die Segnung und die Ehe für alle ausspricht, ist die Abneigung evangelischer Kirchen gegen queere Menschen weniger offensichtlich, aber genauso da. Das Problem liegt dabei aber nicht im Glauben an sich, sondern in der Institution Kirche – es wird niemanden überraschen, dass es schwule, lesbische und bisexuelle Menschen gibt, die gläubig sind und deren Glauben ihnen viel bedeutet. So weit, so gut – aber wie sieht das eigentlich mit Transidentität und Glauben sowie Transidentität und Kirche aus? In diesem Beitrag möchte ich aufzeigen, dass sich Transidentität und (christlicher) Glaube nicht widersprechen.

Was steht in der Bibel?

Dazu lohnt sich erst einmal ein Blick in die Bibel: Was steht im Zentrum dieser Schrift? Dass Gott seinen eigenen Sohn Jesus Christus auf die Erde geschickt hat, um für Gerechtigkeit, Frieden und Liebe zu sorgen. Während seines Verweilens auf der Erde setzt sich Jesus dabei besonders für Menschen ein, die von der Gesellschaft an den Rand gedrängt wurden, die stigmatisiert wurden, die ausgeschlossen wurden. Ganz besonders diesen Menschen begegnet Jesus und somit auch Gott: Er steht für die unterdrückten und leidenden Menschen ein, möchte sie befreien, greift für die Entrechteten Partei, um Heilung, Frieden, Liebe und Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Das klingt doch erst mal sehr positiv, also: Woher kommt all der Hass, den transidente Menschen von Christ*innen erfahren?

Noch ironischer wird das Ganze, wenn man miteinbezieht, dass queere bzw. in dieser Fallbetrachtung trans Personen eine Randgruppe der Gesellschaft bilden und diskriminiert, ausgeschlossen und stigmatisiert werden. Wir sind somit besonders schutzbedürftig – wieso sollte Gott das nicht sehen und uns zu den An-den-Rand-Gedrängten zählen, für die er besonders einsteht?

Ich wünsche mir, das Christ*innen dies bedenken, bevor sie transidente Personen angreifen, sündhaft zu sein. Jesus setzte sich bewusst mit genau denen an den Tisch, die für andere als „unmöglich“ galten, und die Aufgabe von Christ*innen sollte es sein, ihm dies gleichzutun.

Was nützt uns eine christliche Gemeinschaft und Gemeinde, wenn wir nicht tatsächlich füreinander da sind, zueinanderstehen und uns gegenseitig akzeptieren?

Liebe ist geduldig und freundlich. Sie ist nicht verbissen, sie prahlt nicht und schaut nicht auf andere herab. Liebe verletzt nicht den Anstand und sucht nicht den eigenen Vorteil, sie lässt sich nicht reizen und ist nicht nachtragend. Sie freut sich nicht am Unrecht, sondern freut sich, wenn die Wahrheit siegt. Liebe nimmt alles auf sich, sie verliert nie den Glauben oder die Hoffnung und hält durch bis zum Ende. (1. Korinther 13,4–7, Übersetzung [gilt für alle Zitate]: Hoffnung für alle)

Gott liebt auch trans* Menschen

Christ*innen reden gern davon, wie befreiend für sie das Wort Gottes in Form der Bibel ist und welche Hoffnung sie aus ihr schöpfen. Diese Befreiung und Hoffnung der Bibel ist nicht cisgeschlechtlichen Personen vorbehalten, sondern Gottes Liebe ist viel größer als alles, was wir als Menschen begreifen können. Dann trans Personen zu sagen, sie seien von Gottes Liebe ausgeschlossen, scheint mir doch etwas gewagt.

Es gibt schlicht keinen Grund dafür, weshalb Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren können, weniger liebenswert sein sollten. Und dass dieses Phänomen der Transidentität real ist, ist wissenschaftlich erwiesen und bis zum Anbeginn der Menschheit zurückzuführen. Wer die Augen davor verschließt, dass es trans Menschen gibt, leugnet die Vielfalt der menschlichen Existenz.

Und das ist auch schon das Stichwort: Gott hat eine Vielfalt an Menschen geschaffen, und zu dieser Vielfalt gehören auch transidente Menschen. Wieso wird davon ausgegangen, dass Transidentität nicht real ist und Gott dies nicht vorgesehen habe, statt einmal die Möglichkeit zu bedenken, dass Transidentität ein bewusster und gewollter Teil Gottes Schöpfung ist? Es ist für jeden Menschen und für jede Kirchengemeinde bereichernd, diese menschliche Vielfalt und Verschiedenheit anzunehmen.

Wenn wir die menschliche Vielfalt feiern, feiern wir auch die allumfassende und vielfältige Schöpfung Gottes – und ist es nicht genau das, worum es im christlichen Glauben geht?

Wenn eine Person sagt, sie hat nicht das Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde – who are you to judge? Hier gilt es, Vertrauen ineinander zu haben. Welches Geschlecht eine Person hat, kann nur sie selbst wissen, und unsere Position ist es, sie so anzunehmen, wie sie ist. Davon auszugehen, dass das gegen Gottes Willen ist, ist schlichtweg anmaßend. Ist nicht viel wahrscheinlicher, dass Gott der Person diesen Weg bewusst auferlegt hat?

Ein anderes Mal sagte Jesus zu den Menschen: „Ich bin das Licht für die Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Dunkelheit umherirren, sondern er hat das Licht, das ihn zum Leben führt.“
Darauf hielten ihm die Pharisäer vor: „Du bist doch wieder nur dein eigener Zeuge. Das beweist noch lange nicht, dass du die Wahrheit sagst.“ Jesus erwiderte ihnen: „Auch wenn ich hier als mein eigener Zeuge auftrete, sage ich die Wahrheit. Denn ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehe; aber ihr wisst das alles nicht. Ihr urteilt über mich nach dem äußeren Schein. Ich urteile über niemanden.“ (Johannes 8,12–16)

Niemand wacht eines Morgens auf und hat plötzlich die Erkenntnis, tatsächlich ein Mann/eine Frau zu sein. Diese Erkenntnis zu erlangen, ist ein langer Prozess, der viel Energie, Selbstreflexion und Selbsteinsicht kostet. Aber wenn man dann aber an dem Punkt ist, ist es der größte Befreiungsschlag, den man sich vorstellen kann: Ab diesem Moment ergibt endlich alles Sinn. Die eigene Identität fügt sich endlich zu einem kohärenten Bild zusammen. Dieser Prozess der Suche nach der eigenen Identität wird auch Gott nicht verborgen bleiben und diese Art der Selbstreflexion ist sicher kein Grund, trans Personen von seiner wortwörtlich unendlichen Liebe auszuschließen.

Gott schaut das Herz an

Für Gott zählt schließlich das, was im Herzen eines Menschen ist, nicht das, was sich an körperlichen Merkmalen ausgeprägt hat. Ich wage zu behaupten, dass der Körper für Gott ohnehin zweitrangig ist. Es geht um unser Inneres und das war in z. B. meinem Fall schon immer männlich. Ich habe eben meine Zeit gebraucht, das zu verstehen, weil mein Körper sich leider in die andere Richtung entwickelt hat.

„Denn ich urteile nach anderen Maßstäben als die Menschen. Für die Menschen ist wichtig, was sie mit den Augen wahrnehmen können; ich dagegen schaue jedem Menschen ins Herz.“ (1. Samuel 16,7)

„Aber Kaspar“, sagt jetzt vielleicht der eine oder andere, „Gott hat die Menschen doch nach seinem Ebenbild geschaffen, dann muss es ihm doch auch um den Körper gehen?“ Das ist selbstverständlich Auslegungssache. Aber dass man die Bibel, eine mündlich weitergegebene, über 2000 Jahre alte Geschichte, zum einen nicht wörtlich auslegen kann und zum anderen in ihrem historischen Kontext betrachten muss, sollte dem modernen Menschen klar sein.

Dabei ist es nicht einmal der moderne Mensch, sondern der antike, der bereits wusste: Das Ebenbild Gottes, das die Menschen abbilden, bezieht sich auf ihr geistiges Wesen und nicht auf ihren Körper. Wie sollen wir auch sonst ein Ebenbild sein, wenn Gott in sich selbst die Zweigeschlechtlichkeit vereint? Wie sollen sonst Männer und Frauen beide Gottes Ebenbild sein? Gott ist kein Mensch und weder Mann noch Frau, sondern er vereint sowohl Männlichkeit als auch Weiblichkeit in sich. Diesen Dualismus tragen folglich auch wir in uns.

Natürlich kann man sich über viele Kleinigkeiten streiten, aber um das große Ganze doch nicht, nämlich Gottes Liebe, für die die geschlechtliche Ausdifferenzierung (sowie weitere Merkmale) der Menschen völlig irrelevant ist.

Nun seid ihr alle zu Kindern Gottes geworden, weil ihr durch den Glauben mit Jesus Christus verbunden seid. Ihr gehört zu Christus, denn ihr seid auf seinen Namen getauft. Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob ihr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen seid: In Jesus Christus seid ihr alle eins. (Galater 3,26–28)

Gott interessiert folglich nur, ob ein Mensch ihm durch seinen Glauben folgt. Somit ist völlig irrelevant, ob dieser Mensch cis- oder transgeschlechtlich oder nichtbinär ist. Es wäre an der Zeit der Kirche, diesen Punkt zu verstehen und die Vielfalt Gottes Schöpfung anzunehmen – im besten Fall zu zelebrieren – und sich nicht an äußerlichen Merkmalen aufzuhalten.

Gottes Schöpfung ist vielfältig und allumfassend

Ich finde es erstaunlich, dass transfeindliche Christ*innen gar nicht auf die Idee kommen, dass Transidentität tatsächlich explizit von Gott gewollt sein kann. Als gläubiger Mensch sollte man viel eher sagen: Er wird seine Gründe haben (die man als Mensch nicht verstehen muss), dass er manchen Menschen die Prüfung auferlegt, zu ihrem wahren Geschlecht und somit ihrem wahren Ich zu finden.

Es ist also ein besonderer Weg, der trans Personen vorbestimmt ist, und er startet damit, in einen Körper hineingeboren zu werden, der nicht der richtige ist. Hat man es schließlich geschafft, den Weg der Erkenntnis zu gehen und zum eigenen wahren Ich zu finden, ist das eine ganz besondere Erfahrung, die unendlich viel Kraft, Energie und Lebensfreude weckt. Diese besondere Vorbestimmung sollte man nicht leugnen, sondern vielmehr dankbar sein. Und wer gläubig ist, dem wird der Heilige Geist zur Seite gestellt, um mit Kraft, Liebe und Besonnenheit seinen Weg zu gehen und sich zu outen.

Darum bitte ich dich: Lass Gottes Gabe voll in dir wirksam werden. Du hast sie bekommen, als ich dir segnend die Hände auflegte. Denn der Geist, den Gott uns gegeben hat, macht uns nicht zaghaft, sondern er erfüllt uns mit Kraft, Liebe und Besonnenheit. (2. Timotheus 1,6–7)

 

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