Meilenstein Nr. 1: Der dgti-Ergänzungsausweis

Jüngst habe ich es auf meinen Social-Media-Profilen gepostet: Letzte Woche kam mein Ergänzungsausweis von der dgti (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität) an. Warum das ein Meilenstein auf meinem Weg der Transition ist, möchte ich in diesem Blogpost erklären.

Wozu braucht man den Ergänzungsausweis?

Der Ergänzungsausweis ist – wie der Name bereits sagt – ein ergänzendes Ausweisdokument für den amtlich gültigen Personalausweis. Den Namen und den Personenstand auf dem Personalausweis zu ändern, ist leider ein Heidenakt (wie ich noch erläutern werde) – deswegen hat die dgti diesen Ergänzungsausweis entwickelt, den man, wenn der Perso den alten Namen aufweist, als zusätzliches Identifikationsdokument vorlegen kann. So wird es erleichtert, bereits an allen nichtamtlichen Stellen mit dem neuen Namen und dem neuen Personenstand eingetragen zu werden.

Was heißt das konkret? Wer akzeptiert den Ausweis?

Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten, aber allgemein ist zu sagen: Personalausweis, Führerschein, Bankkonten und amtliche Zeugnisse können nicht auf Grundlage des Ergänzungsausweises ausgestellt werden, in allen anderen Bereichen ist es prinzipiell möglich – da kommt es auf die Kulanz der Sachbearbeiter*innen oder auf die internen Regelungen an.

Beispiele für Änderungen, die ich erwirken konnte, sind:

  • Meine Personaldaten bei meinem Werkstudentenjob: Das heißt, auch meine Gehaltsabrechnungen laufen nun auf meinen neuen Namen. Schichtplan, digitale Arbeitszeiterfassung, der Name im Programm, mit dem wir arbeiten, der Name in MS Teams (über das die interne Kommunikation läuft), interne Kommunikation allgemein – auch das wurde alles schnell und unproblematisch umgesetzt. Hier kann es natürlich auch sein, dass mein Arbeitgeber besonders transfreundlich und bemühter ist als andere (und dafür bin ich dem Unternehmen so dankbar, halleluja), aber ich rate jedem*r: Probiert es einfach!
  • Mein digitales Profil an der Uni: Sowohl auf unserem Studieninformationsnetz als auch in unserem Learning-Management-System als auch auf meinem Uni-MS-Teams-Account bin ich mit meinem neuen Namen registriert. Ebenso wurden mir alle Studienbescheinigungen digital neu ausgestellt, auch rückwirkend. Ein aktualisierter Studienausweis bzw. das Semesterticket wird mir automatisch per Post zugesendet. Zuletzt hätte ich auch meine Uni-Mailadresse ändern können, hätten sich meine Initialen geändert. Das Einzige, was nicht geht, solange mein Perso noch nicht angepasst ist, ist die Ausstellung meines Abschlusszeugnisses auf meinen neuen Namen. Dieses gilt als amtliches Dokument und wird auf meinen alten Namen ausgestellt, wenn die amtliche Namensänderung noch nicht geschehen ist.
  • Meine Krankenkasse hat mir anstandslos eine neue Versichertenkarte auf den neuen Namen ausgestellt. Im System konnten sie jedoch meinen Personenstand nicht ändern. Paradoxerweise bin ich dort nun also „Frau Kaspar Felix XY“. Auf Rezepten & Co. wird aber zum Glück der Personenstand nicht angegeben.
  • Kleinere Mitglieds-/Kundenkarten werden mir neu ausgestellt, z. B. habe ich superschnell eine neue DHL-Kundenkarte für die Nutzung von Packstationen erhalten. Wenn ihr Mitglied in Vereinen, Clubs oder z. B. Fitnessstudios seid, sollte die Namensänderung ebenfalls mit dem dgti-Ausweis machbar sein.
  • Je nach Kulanz können Verträge auf den neuen Namen ausgestellt werden. Einfach immer probieren, indem man wie selbstverständlich sowohl Perso als auch dgti-Ausweis vorzeigt!

Ihr merkt also: Der dgti-Ausweis ist der beste Freund eines trans bzw. nichtbinären Menschen, da das Outing, gerade an offiziellen Stellen, damit unheimlich erleichtert wird. Man muss sich nicht mehr scheuen, sich mit seinem neuen Namen zu registrieren, da man einen Ausweis in der Tasche hat, der diesen Namen legitimiert. Wir sind ja immer noch in Deutschland und Bürokratie ist hier alles. ;)

Wie kann ich den Ausweis beantragen?

Kurz: Hier. Was ihr dafür braucht:

  • Euren Personalausweis: Um als Ergänzungsdokument zu dienen, muss auf dem Ergänzungsausweis die Ausweisnummer des Persos angegeben sein. Also genau hinschauen beim Abtippen!
  • Eure(n) neue(n) Namen und eure neuen Pronomen: Das klingt nun so simpel, aber die Entscheidung, welchen Namen man fortan trägt, ist eine sehr große. Ihr solltet euch also sicher sein, mit welchem oder mit welchen Namen ihr leben möchtet. Nichtbinäre Personen müssen sich zusätzlich Gedanken über ihre Pronomen machen (bei trans Menschen sind diese meist klar). An sich ist es aber auch kein Drama, sich noch einmal umzuentscheiden und einen neuen Ausweis zu beantragen.
  • Ein Bild von euch: Biometrische Fotos sind nicht nötig, es liegt völlig in eurer Hand, welches Bild ihr auswählt, da wird nichts kontrolliert.
  • Eure Bankdaten und 19,90 € auf eurem Konto: Die Ausstellung und das Zusenden des Ausweises kostet einmalig 19,90 €.

Achtung: Achtet darauf, welchen Namen ihr für die Versandadresse angebt und darauf, dass dieser auch vollständig auf eurem Briefkasten steht!

Die dgti gibt eine Bearbeitungs- und Versandzeit von sechs bis acht Wochen an. Ihr bekommt E-Mail-Updates, wenn die Zahlung eingegangen ist, der Ausweis in Produktion geht usw.

Wie sieht der Ausweis aus?

Der dgti-Ergänzungsausweis

Im Nachhinein denke ich mir, ich hätte einen weißen und nicht schwarzen Hintergrund wählen sollen, na ja. Ebenfalls ist es natürlich nicht notwendig, so unfassbar traurig auszusehen, haha. Ernst zu schauen, ohne dabei auszusehen, als würde ich gleich weinen, muss ich wohl noch üben. (Im Nachhinein denke ich, Lächeln wär sicher auch okay gewesen, na ja, it is what it is.)

Wie ihr seht, ist der Ausweis außerdem dreisprachig: Deutsch, Englisch und Französisch. Ihr könnt ihn also auch im Urlaub nutzen.

Wann kommt dein neuer Perso?

Das wird leider noch eine ganze Weile dauern. Um seinen Namen und seinen Personenstand offiziell amtlich zu ändern, muss man nämlich vor Gericht ziehen. Das liegt daran, dass in Deutschland noch immer das sog. Transsexuellengesetz (TSG, lange Version: Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen) von 1981 (neuste Änderung: 2017) gilt, das es trans Menschen unfassbar schwer macht, eine sog. Vornamen- und Personenstandsänderung (VäPä) durchzusetzen.

Die Problematik des TSG

Zunächst einmal muss ein trans Mensch einige Bedingungen erfüllen, um für eine VäPä zugelassen zu werden:

  • Die Geschlechtsdysphorie und „der Zwang, seinen Vorstellungen entsprechend zu leben“ müssen seit mindestens drei Jahren bestehen. Das heißt, wenn man sich zwar eigentlich bereits seit Jahren bewusst ist, dass man transident ist, dies aber erst seit kurzem nach außen trägt, könnte es schwierig werden, vor Gericht zu argumentieren, dass „der Zwang, seinen Vorstellungen entsprechend zu leben“ bereits länger besteht.

  • Man muss bescheinigt bekommen, dass sich die empfundene Geschlechtszugehörigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird. Dies geschieht anhand von richterlichen Gutachten. Das heißt, man spricht mit zwei fremden Menschen über die eigene Transidentität und muss hoffen, dass sie einem bescheinigen, dass die empfundene Identität real ist. Dabei werden Erfahrungsberichten zufolge die intimsten, grenzüberschreitenden Fragen gestellt (z. B. zu den Vorlieben beim Porno-Konsum).
  • Man muss einen sog. Transsexuellen Lebenslauf verfassen, um die eigene Situation zu schildern und jegliche Details über die Geschlechtsidentität in allen Phasen des Lebens darzulegen (von der Geburt bis heute). Auf alles, was hier geschrieben wird, kann vor Gericht und von Gutachter*innen eingegangen werden. Man muss sich also darauf gefasst machen, alles, was man schreibt, rechtfertigen zu müssen.

  • Man muss die Prozesskosten und die Gutachten aus eigener Tasche zahlen (ein Antrag auf finanzielle Unterstützung ist immerhin möglich). Man befindet sich dort schnell im vierstelligen Bereich.

Das heißt, man durchläuft einen extrem langwierigen Prozess mit einem Haufen an Bürokratie, der einen Haufen Geld kostet, nur, um von völlig fremden Jurist*innen bestätigt zu bekommen, dass es valide ist, seinen Namen zu ändern. Vom Verschicken des Antrags bis zum abgeschlossenen Prozess und Erhalt der Urkunde zur Namensänderung kann gut und gerne ein Jahr vergehen.

Eine weitere Problematik des TSG ist, dass es sich auf die Diagnose Transsexualität bezieht, die Transidentität pathologisiert (d. h. als Krankheit einstuft): Laut ICD-10 der Internationalen Klassifikation von Krankheiten, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), ist Transsexualität nämlich den Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen (F60–F69) zuzuordnen und bezeichnet den Wunsch,

als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit dem Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen.

Es wurden bereits Versuche unternommen, Transidentität zu entpathologisieren und als Normvariante zu etablieren. Wir befinden uns also in einer Zeit, in der sich hoffentlich noch vieles ändern wird – sowohl in der Klassifikation als auch in Gesetzestexten.

Andererseits ist jüngst im Bundestag der Antrag der Grünen auf ein Selbstbestimmungsrecht, das an die Stelle des TSG treten sollte, gescheitert. Selbst die SPD, die sich zuvor zum Selbstbestimmungsgesetz bekannt hatte, schloss sich der CDU/CSU aufgrund vermeintlichen Koalitionszwangs an und stimmte dagegen. Die FDP legte zwar ebenfalls einen Gesetzesentwurf zur Selbstbestimmung vor, stimmte aber dennoch gegen den Entwurf der Grünen. So bleiben nur die Grünen und die Linken, die sich tatsächlich für die Rechte von trans Menschen einsetzten. Es muss sich in der Politik also noch viel tun, bis trans Menschen nicht mehr systematisch diskriminiert werden, indem ihnen das Recht auf Selbstbestimmung bewusst genommen wird.

Immerhin etwas wurde bisher erreicht: 2011 wurde der noch viel feindlichere Teil des TSG abgeschafft, nämlich die Zwangssterilisation. Ja, ihr habt richtig gelesen: Wenn man offiziell seinen Namen und seinen Personenstand ändern wollte, musste man sich sterilisieren – das heißt: operieren! – lassen. Damit wurde ausgeschlossen, dass sich trans Menschen fortpflanzen können, was unfassbar tief in die Persönlichkeitsrechte einschneidet und an Zwangsmaßnahmen aufgrund psychischer Erkrankungen in NS-Zeiten erinnert. Rund 10 000 Personen wurden zwischen 1981 und 2011 zwangssterilisiert und wurden bis heute nicht dafür entschädigt.

Fazit

Der dgti-Ergänzungsausweis ist also eine unfassbar tolle Sache – es ist jedoch unfassbar traurig, dass die Existenz dieses Ausweises derart notwendig ist. Mit einer Reformierung des TSG könnte erreicht werden, dass es weniger beschwerlich und langwierig ist, eine offizielle VäPä umzusetzen, was die Notwendigkeit des Ergänzungsausweises mindern würde. Bis dahin bin ich der dgti und allen weiteren Organisationen für trans Rechte unglaublich dankbar, dass sie sich derart bemühen, das Leben von trans Menschen zu erleichtern.

Quellen



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